Bleibt man hier strikt und fällt nicht hinter Descartes zurück, wie dies die religiöse Interpretation natürlich gern getan hat, so heißt das: Ich bin mir meiner nicht gewiss, indem ich in einen Spiegel schaue. Ich bin mir meiner auch nicht gewiss, indem ich ein Selbstportrait von mir entwerfe, (sagen wir ein möglichst günstiges) oder über mich nachdenke, sondern ich bin nur, indem ich "denke" und jenes Denken, auf das es dabei ankommt ist das aus dem Zweifel abgeleitete. Dubito ergo Cogito. Zweifeln sollte man nach Descartes an allem, vornehmlich an sich selbst und möglichst immer. Für die europäische EGO - Fixation ist also nicht bloß einfach Denken ("cogito") wichtig, wie das im Übrigen schon Thomas von Aquin formulierte, sondern der Zweifel als Grundzustand.

Zweifeln heißt zwei Dinge auf Überein­stimmung prüfen, also vergleichen. Das kommt sehr nahe an die Definition des Aristoteles, der meinte Denken sei vergleichen. Was wird verglichen? Das Ich und sein Bild. Das Ich und sein Nachdenken über sich. Wir sehen in Descartes berühmter Zweifelsdefinition geradezu Dürers zweifelnden Blick, der uns aus seinem Selbstportrait von 1498 heraus ansieht und das ich Ihnen deswegen auch mitgebracht habe. Es ist ein Blick, in dem etwas Forschendes, abschätzend, Prüfendes ist, ein fortgesetztes Zweifeln sozusagen. - Dubito ergo cogito! Zweifel und Denken gehen bei Descartes eine derartig enge Verbindung ein, dass "Reflektieren" in Europa ab nun den Klang des Zweifels erhält. Das Ego der Neuzeit ist also nicht mehr das gläubige, sondern das sich zweifelnd durchforschende, das reflektierende, kritische, in ständig quälender Verdoppelung und Selbstprüfung befindliche Ego, das in jeder Sekunde wissen will ob es träumt oder wach ist, ein Ego, das ehrlich mit sich sein will, ein Ego, das ein Tagebuch seiner Sünden schreibt, so wie es der aus dem Jesuitencolleg von La Flèche entlaufene Descartes gewohnt war.