Gruppe Hirschenstraße - auf Künstler schießt man nicht!

Sozialität der Solitären oder
Wie Stachelschweine im Winter (Hjalmar Leander Weiss)

Van Gogh an seinen Bruder: "Du weißt, es ist mir immer idiotisch vorgekommen, daß Maler für sich allein leben (...). Aber der Gedanke an einen Zusammenschluß der Maler, an ein gemeinsames Wohnen - dieser Gedanke bleibt wahr und vernünftig wie so viele andere, wenn es auch nicht gelungen ist, ihn zu verwirklichen."

Freischaffende Künstler und Künstlerinnen sind Individuen par excellence. Die Vergemeinschaftung von Künstlern ist seit der Romantik ein vertrautes Phänomen, bei dem sich jedoch stets die Frage stellt, wieviel Gemeinschaftsbindung verträgt der ausgeprägte Individualcharakter künstlerischen Lebens und Arbeitens?

Hans Peter Thurn bezeichnet solche Vereinigungen in ihrer Ambivalenz zwischen Einzelgängertum und Gemeinschaft als "Sozialität der Solitären". {4}

Die Künstler der Hirschenstraße verstanden sich nicht als Künstlergemeinschaft mit einer festgeschriebenen Gruppenideologie und Kunstprogrammatik und doch verband sie eine gemeinsame Suche und die Überzeugung, dass etwas passieren musste. Aus der Kombination der jungen Künstler in der alten Fabrik entwickelte sich eine eigene Dynamik, die gespeist wurde aus ihrem enormen Schaffens- und Freiheitsdrang. Ein in die Runde geworfener Geistesblitz, vermochte eine Kettenreaktion auszulösen, die jeder mit seinem persönlichen Temperament und Beitrag am Laufen hielt. So verwirklichten sie innerhalb kürzester Zeit und ohne vorherige Planung, sondern aus einem produktiven Chaos heraus, aufsehenerregende Aktionen.

Aus der Gruppendynamik erwuchs die Energie für ihre öffentlichen Aktionen. Dabei bot die Gruppe den notwendigen Rückhalt und die Anerkennung, besonders wenn sie in der Öffentlichkeit ausblieb. Das Unverständnis der Menge konnte noch zur Stärkung des Gruppenempfindens beitragen. Dennoch war die Hirschenstraße in erster Linie auf Vermittlung und nicht auf Konfrontation angelegt. Wenn es auch nicht zu einem offenen Atelier für alle kam (so die Anfangsidee), stand das Haus zu verschiedenen Anlässen, wie den zahlreichen Malaktionen, jedem mit ernsthaften künstlerischen Anliegen offen. Einige der Künstlergäste blieben länger. Entsprechend variabel war die Gemeinschaft in ihrer Konstellation.